Yoga des kosmischen Klangs – Faszinierende sonische Yogatechniken Schritt für Schritt erklärt

Yoga und Klang stehen seit jeher in enger Verbindung. „Nāda-Brahman“, die Welt ist Klang heißt es bereits in den ältesten Yogatraditionen. Jeder der heute Yoga übt hat schon selbst die ein oder andere dieser Techniken geübt. Wie zum Beispiel die Rezitation der heiligen Silbe oṃ. In der gesamten Geschichte des Yoga haben sich Yoginis und Yogis die Wirkung des Klangs verschiedenartig zu nutzen gemacht. Drei faszinierende und im Westen größtenteils unbekannte sonische Yoga-Methoden werden im Folgenden Schritt für Schritt erklärt.

Alle drei Techniken zielen darauf ab eine mystische Ekstase durch Konzentration auf Klänge hervorzurufen. Es geht darum den gesamten Kosmos in eine gewaltige tönende Offenbarung des Urgrunds zu verwandeln.

Der Stellenwert des nāda oder Nāda-Brahman in den Traditionen der Yoga-Upaniṣaden wird in der Yogśikha-Upaniṣad (2.20-21) anschaulich zum Ausdruck gebracht:

„Es gibt kein höheres Mantra als das Nāda, es gibt keinen höheren Gott als den eigenen Ātman, es gibt keine höhere Verehrung als die Erkundung des Nāda und es gibt keine höhere Befriedigung“.

Surendranath Dasgupta erhellt das Yoga des Klangs in diesem Zitat ebenfalls auf eindrückliche Weise:

„Ein unfehlbares Mittel zur Befreiung ist mantra, konzentrierte Gedanken von großer Kraft. Es basiert auf śabda [Stimme], nāda [Klang], und prāṇa [Atem], synonym zur kosmischen Energie. In grober Form unterstützt nāda das Universum als dessen Seele, im Feinen wird es durch die Absolute Göttin repräsentiert. Die feine Form wird durch die grobe Form realisiert. Also erschaffen mantra, Atmen, japa, die Schwingungen des nāda als Seele des Universums. Nāda-sādhana ist all-wirksam und die unschätzbar wertvolle Entdeckung der Tantras. Nāda [Schwingung] und jñāna [Erkenntnis] sind zwei parallele Manifestationen von Śakti. Das eine führt zu und erweckt das andere.“ (Dasgupta 1941: 282)

Ich übernehme keinerlei Verantwortung für das Experiment diese Techniken selbst auszuprobieren. Die Anwendung erfolgt daher auf eigene Gefahr. Auch sei hier erwähnt, dass obwohl ich Indologe bin dieser Artikel kein wissenschaftlicher Beitrag sein soll, sondern lediglich Unterhaltungszwecken dient. Daher distanziere ich mich von den folgenden Inhalten hinsichtlich meiner wissenschaftlichen Karriere.

1. Yoga des Klangs in der Nādabindu-Upaniṣad (31-41) und der Śiva-Saṃhitā

Die Nādabindu-Upaniṣad (31-41) beschreibt den Fortschritt yogischer Meditation, in welcher der Aspirant elf verschiedene innere Klänge vernimmt, die stufenweise feiner werden bis er schlußendlich sein wahres Selbst erfährt:

„Der Yogi möge stetig auf den Klang im Inneren seines rechten Ohres hören. Dieser Klang, wenn permanent praktiziert, wird jeden Klang der von außen kommt übertönen. Wenn dies hartnäckig aufrecht erhalten wird, wird dieser Ton feiner und feiner gehört werden. Zunächst wird dieser so sein, wie der Klang der vom Ozean produziert wird, einer Wolke, einer Pauke, und eines Wasserfalls. Etwas später wird der Klang wie der einer Tabor-Trommel sein, einer großen Glocke, und einer Militärtrommel, der Bambusflöte, der Harfe, und der einer Biene. Wenn der Geist des Yogis vollkommen im Klang versunken ist, wird er gleichmütig gegenüber allem in der Welt: „Aller Gedanken verlassen, ohne Handlungen, soll er auf Klang allein meditieren. Sein Geist wird vollständig mit dem inneren Klang verschmilzen. Alles findet findet den finalen Ort der Ruhe im inneren Klang, worin das absolute Brahman manifest ist, welches nichts anderes ist, als das eigene wahre Selbst.“

Eine ganz ähnliche Technik findet sich in Śiva-Saṃhita (5.27), einem der wichtigsten Texte des Haṭha-Yoga. Hier lesen wir Ähnliches. Die Beschreibung erinnert etwas an die Ausführungen der Nādabindu-Upaniṣad:

„Lass ihn die Ohren mit den Daumen schließen… Dies ist mein am meisten geliebtestes Yoga. Durch das fortwährende Üben dieser Technik, fängt der Yogi an im Kopf mystische Klänge zu hören. Der erste Klang ist wie das Summen einen Honigbiene, der nächste wie der einer Flöte, der nächste wie der einer Harfe; danach, durch die graduelle Praxis dieses Yogas, des Zerstöreres von Dunkelheit in dieser Welt, hört er den Klang läutender Glocken; dann Klänge wie das Getöse des Donners. Wenn man seine volle Aufmerksamkeit auf diesen Klang fixiert, frei von Angst, tritt er in die Absorption ein … Wenn der Geist des Yogī äußerst in diesem Ton involviert ist, vergisst er alle äußeren Dinge und wird in diesem Klang absorbiert… Es gibt keine Haltung wie die des Siddhāsana, keine Kaft wie die von Kumbha, kein Mudrā wie das Khecarī, und keine Absorption wie die des Nāda (der mystische Klang).“

2. Yoga des Klangs im Vijñāna Bhairava Tantra

Im Vijñāna Bhairava Tantra finden sich gleich mehrere spannende Yogatechniken die sich den Klang zu nutzen machen. Das Vijñāna Bhairava Tantra ist ein wichtiger Text der Trika school of das kashmirischen Shivaismus auf Sanskrit. Es handelt sich hier im einen Diskurs zwischen dem Gott Bhairava und seiner Gefährtin Bhairavi. Insgesamt werden 112 Meditationen beschrieben. Sie umfassen Atmung, Konzentrationen, Zentrierungstechniken, Mantras, Imaginationen, Visualisierungen uvw. Es folgen die einige selektierte sonische Yoga-Techniken in der Übersetzung von Bettina Bäumer:

„38. Wenn man ins Brahman-das-Laut-ist eintauchtm das als unangeschlagener Ton ohne Unterbrechung wie ein schnell fließender Strom im Innern des Ohres ertönt, dann gelangt man zum höchsten Brahman.“ (Bäumer 2008: 87)

„39. Oh Bhairavī, wenn man die heilige Silbe Oṃ oder irgendeinen anderen (einsilbigen Mantra) vollkommen ausspricht und über die Leere am Ende des gedehnten Ausklangs meditiertm so erlangt man durch die höchste Energie der Leere den Zustand der Leere.“(Bäumer 2008:88)

„40. Man soll über die Leere vor und nach (dem Aussprechen) jedes Lautes meditieren, dann wird man durch (ebendiese) Leere leer (von Vorstellungen und Gedanken) und erlangt die Form der leere.“ (Bäumer 2008:89)

„41. Wenn man mit unzerstreuter Aufmerksamkeit dem Klang von Saiten- oder anderen Instrumenten zuhört, der durch die Aufeinanderfolge der Töne gedehnt ist, dann wird man eins mit dem höchsten Raum des Bewusstseins.“ (Bäumer 2008:91)

„73. Wenn der Yogī eins wird mit der unvergleichlichen Freude des Genusses von Musik und anderen ästhetischen Freuden, dann verschmilzt er damit, und durch eine geistige Erhebung wird er vollkommen eins damit (mit dieser Freude).“ (Bäumer: 2008:128).

3. Yoga des Klangs im Śākta-Tantra

Die folgende sonische Yogatechnik erfordert ein gewisses Hintergrundwissen um die Ausführung dieser seltsam anmutenden Silbenkonstruktion wahrlich schätzen und anwenden zu können.

In der Vorstellungswelt der tantrischen Traditionen des Mantramarga (Pfad der Mantras) erzeugt die Multiplikation der kosmischen Wurzel, oder Ur-Schwingung, einen Strang von Buchstaben, welche das Sanskrit-Alphabet zusammensetzen. Aus diesem Grund wird das Sanskrit-Alphabet auch sehr verehrt. Es ist mit dem gesamten Kosmos verwoben.

Ein schönes Beispiel sind die Ausführungen des Śāradatilakatantra (7.9-14), welche die Welt auf der makrokosmischen Ebene als kosmischen Baum (Körper) beschreibt. Dieser besteht aus einem komplexen Netzwerk, einem „verschlungenen Gewebe“ von Sanskrit Buchstaben. Sie gelten als die „Wurzelschwingungen“ der materiellen Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung des Universums. In der Übersetzung von Madhu Kanna heißt es:

„Das gesaamte physische Universum besteht, zusammengesetzt aus den fünf Elementen (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther) wird durch ein Set von Klangkombinationen auf den verschiedenen Teilen des Weltenbaumes präsentiert. Sein Same ist das Selbstschöpfende Urprinzip; seine Pfahlwurzeln sind kosmischer „Punkt“ und Schwingung (Bindu und Nāda) die aus den ewigen männlichen und weiblichen Prinzipien hervorgehen; seine Äste bestehen aus den Buchstaben welche das Erdelement angeben; seine Äste die sich über die drei Welten erstrecken bestehen aus den Buchstaben die für das Wasserelement stehen; seine Sprossen, scheinend wie „Edelsteine“, bestehen aus Buchstabenkombinationen, welche das Feuerelement repräsentieren und die Früchte des Baumes die Buchstaben die für den Äther stehen. Praktisch jeder Aspekt der physikalischen Welt, das Sonnensystem mit den Planeten, kann symbolisch durch mantrische Gleichungen ausgedrückt werden. (Kanna: 1978)“

Die Praxis der Meditation auf Mantras, oft auch Puruśascaraṇa genannt ist ein gradueller regressiver Prozess. Hierdurch wird der Aspirant mit dem ursprünglichen kosmischen Klang wiedervereinigt und soll so mit Brahman wieder eins werden.

Das Pañcadaśī-Mantra

Die am weitesten verbreitete Form des Śākta-Tantra in Indien und die kultivierteste Form der Nutzung heiligen Klangs ist Śrī-Vidyā. Śrī Vidyā, auch Śrī-Cakra genannt entwickelte sich in Kashmir während des 11. Jahrhunderts und bis ins 12. Jh. hatte es sich bis nach Tamil Nadu verbreitet. Sie verehren die Göttin Lalitā, Tripurā bzw. Tripurasundarī. Sie wird als die liebevollste, schönste und jugendlichste Manifestation der höchsten Śakti begriffen. Wichtigste Texte sind Vāmakeśvara-Tantra und das Yoginī-hṛdaya-Tantra, sowie zahlreiche weitere Texte die zwischen dem 11. und 16. Jh. entstanden sind. Hier werden „Mantra und Gottheit“ als ein und das selbe begriffen.

 

Es gibt keinen Unterschied zwischen bezeichnendem Klang und dem bezeichneten Objekt und das bezeichnende Bewusstsein und die bezeichnete Energie sind fundamental eins. Das Universum der Erfahrung ist nichts anderes als die ausdrucksstarken Klänge die das Sanskrit-Alphabet Konstituieren. Die 36 Buchstaben (15 Vokale die als eins gedacht werden und 35 Konsonanten) korrespondieren zu den 36 tattvas, welche das Universum zusammensetzen. Wort und Bedeutung sind immer vereint. Sie werden als Śiva und Śakti betrachtet.

Das Śrī-Vidyā-Mantra (Pañcadaśī) besteht aus 15 Silben und leitet sich wohl aus Vers 32 des Saundarya-Laharī ab. Über dieses Mantra sind ganze Bücher geschrieben wurden, daher kann ich nur die Grundbedeutung und Grundidee skizzieren. Es gibt sehr viele Mantras im Śrī Vidyā, aber dieses ist das fundamentalste.

„KA E I LA HRĪṃ, HA SA KA HA LA HRĪṃ, SA KA LA HRĪṃ“

Die Übersetzung des Verses lautet:

„Oh Mutter! Śiva, Śakti, Kāma und Kṣiti; und dann Ravi, Śitakiraṇa, Smara, Haṃsa, Śakra; und danach, Parā, Māra und Hari; diese (3 Sets von Silben), wenn sie jeweils an deren Endung mit den drei Hṛllekhās [HRĪṃ’s] verbunden werden, werden zu Teilen deines Namens.“

Jeder Buchstabe wird dann mit dem einzelnen Namen der Gottheit verbunden. Śiva ist das „KA“, Śakti das „E“ etc. Gleichzeitig gibt jeder Laut einen wichtigen Schöpfungsprozess wieder. Dieses Mantra wird als die Muttergöttin Tripurāsundarī selbst angesehen. Manchmal wird auch noch eine sechzehnte Silbe hinzugefügt „ŚRĪṃ“. Dies stellt eine sehr esoterische Lehre dar. Die 15 Silben plus die eine Silben enden letztendlich in dem finalen unveränderlichen Nasallaut. Sie werden mit den 15 Phasen des Mondes gleichgesetzt. Der Mond durchläuft alle 14 Tage in deren Vorstellung 15 verschiedene Modifikationen. Die 16. wird als die transzendente und unveränderlichen Phase betrachtet.

Das Mantra hat insgesamt drei Abschnitte und jedes endet mit der Silbe „HRĪṃ“. Diese Silbe Symbolisiert sowohl Śakti, als auch die Vereinigung zeischen Śiva und Śakti. „HRĪṃ“ besteht aus „H“ gleich Śiva, RA gleich Śakti, I gleich die Vereinigung von beiden und „ṃ“ gleich die Silbe Oṃ. Das Oṃ macht alles zu einer Einheit.

Das Pañcadaśi wird als Strom inneren Klangs betrachtet das während dem Rezitieren vom Mūlādhāra Cakra, zum Sahasrara Cakra (dem Tausenblättrigen Lotus) aufsteigt und den Praktizierenden dann mit Brahman vereint.

Dazu ein erläuterndes Zitat von Andre Pardoux:

„Die drei Teile dieses Mantras werden als Gegenwärtig in drei der Chakren des feinstofflichenKörpers visualisiert (entlang der Wirbelsäule des grobstofflichen Körpers). Sie werden dann nach oben gezogen durch die aufsteigende Bewegung ihrer Aussprache (uccāra) was mit der Bewegung des Atems in Verbindung gebracht wird (prāṇa). Dieser aufsteigende Fluss der akustischen Energie des mantras trägt die Kuṇḍalinī nach oben und kulminiert in der Fixierung des höchsten Punktes der verbalen Aussprache und des feinstofflichen Körpers. Der Verehrer ist nun mit der höchsten Realität fusioniert, die reine Glückseeligkeit, der „Ozean ohne Wellen“ der transzendenten Göttlichkeit, die in sich selbst verborgen die Totalität der kosmischen Erscheinungen von denen es selbst die Quelle und die Grundlage ist, innewohnen.“(Pardoux 1981: 360)

Das erste Abschnitt „KA E I LA HRĪṃ“ wird mit Mūlādhāra, Svādhiṣṭhāna, Maṇipūra und dem Anāhata Cakra assoziiert.

Der zweite Abschnitt „HA SA KA HA LA HRĪṃ“ korrespondiert mit Viśuddha und Ājñā Cakra Cakra.

Der dritte Abschnitt „SA KA LA HRĪṃ“ endet dann im Sahasrāra Cakra.

Mit der Richtung nach oben reflektieren die drei Abschnitte auch den Prozess der Schöpfung (sṛṣṭi), Erhaltung (sthiti) und Auflösung (saṃhāra).

Shri-Vidya-Mantra

Ein wichtiger Punkt ist die Art und Weise wie rezitiert wird: Im Anfangsstadium der hörbaren Wiederholung des mantras [vācika-japa] wird Luft eingeatmet. Das Rezitieren wird dann leiser [upāṃśu-japa] und es wird wesentlich weniger Luft eingeatet. Ib der Mittelstufe geht es über in stilles rezitieren [mānasa-japa] und die Atmung wird auf ein Minimum runtergefahren und die Rezitation [japa] geschieht mühelos. Nun verbindet sich die Rezitation mit der feinstofflichen Ebene der Sprache [Paśyantī-Vāk]. Es soll nun nicht mehr geatmet werden. So würden Wort und Bedeutung fusionieren und es gibt keine Unterschiede mehr. Der Praktizierende verschmilzt dann mit Brahman. Die Rezitation dieses Mantras wird begleitet mit einer Meditation über Śrī-Cakra. Dieses Mandala ist eine kondensierte Darstellung des kosmischen Prinzips der Absolutheit.

Literaturverzeichnis

  • Bäumer, Bettina (2003): Vijnana Bhairava: Das göttliche Bewusstsein. 112 Weisen der mystischen Erfahrung im Shivaismus von Kashmir (Sanskrit-Text, Übersetzung und Kommentar).  Adyar: Grafing (2003). Frankfurt a.M. 2008: Neue Edition im Verlag der Weltreligionen.
  • Dasgupta, Surendranath (1941): General Introduction to Tantra Philosophy. In: Philosophical Essays. University of Calcutta. Deussen, Paul (1997). Sixty Upanishads of the Veda. Dehli: Motilal Banarsidass.
  • Dev, K. V. (editor) (1996): The Thousand Names of the Divine Mother. San Ramon, California: Mata Amritanandamayi Center.
  • Khanna, Madhu (1978): Die Welt des Tantra in Bild und Deutung. München: Otto Wilhelm Berth Verlag.
  • Mallinson, James (2007): The Shiva Samhita. New York: YogaVidya.com.
  • Padoux, André (1981): Review: A Survey of Tantric Hinduism for the Historian of Religions. In: History of Religions, Vol. 20, No. 4, S.345-360. Chicago: The University of Chicago Press.